INFORMER | spot 06 | WEBERHAUS des HANDWERKs

INFORMER | spot 06 | WEBERHAUS des HANDWERKs

DAS HANDWERK IM FOKUS: HIER WIRD INTEGRIERT!
WAS WÄRE WENN?! DIE BEIDEN PLANER FRANK EITTORF UND PROF. ERCAN AGIRBAS WIDMEN SICH IN DIESEM TEIL DER SERIE DEM WEBERPLATZ IN DER ESSENER INNENSTADT. ER SOLL ZU EINEM MUSTERORT DER INTEGRATION WERDEN.

Zur Halbzeit, im sechsten Teil der großen INFORMER-Serie ‚Was wäre wenn?!‘, beschäftigen sich die beiden Planer Frank Eittorf und Professor Ercan Agirbas mit einem Kronjuwel der Innenstadt: dem Weberplatz – verbunden mit den Themen Zuwanderung, Integration und Handwerk. „Als Architekten, Lehrende und stets Lernende im In- und Ausland wissen wir, dass es zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft und Kulturen Differenzen, aber auch viele Gemeinsamkeiten in persönlichen sowie in professionellen Bereichen gibt“, betonen die beiden Planer. Aus diesem Grund seien sie nicht nur an Stadtplanung und Architektur, sondern auch an nicht-fachspezifischen Konzepten interessiert. Dies gilt gleichsam für den Weberplatz und seine ihn umgebene Bebauung, in der sie noch Potenziale sehen. Eittorf: „Wir sind der Meinung, dass neben der Wirtschaft, der grenzenlosen Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung, insbesondere Bildungseinrichtungen einen großen Teil zur Verbesserung der aktuellen Flüchtlingssituation beitragen können. Das wollen wir im Herzen Essens, am Weberplatz thematisieren.“
Flüchtlinge nach Gemeinsamkeiten wie Interessen, Ausbildung, Studium und Beruf oder Berufswunsch zu gruppieren statt nach Unterschieden in Kultur, Herkunft und Religion zu separieren, ist dieses Mal das Motto der beiden Planer. Dazu Eittorf: „Ich habe im Sommer 2015 mit der Fakultät für Architektur und Landschaft der Leibniz Universität Hannover ein Konzept zur Integration von Flüchtlingen entwickelt. Damals wollten wir eine Vorlesungsreihe zur europäischen Stadtgeschichte, für ‚flüchtige‘ Architekten, Architekturstudierende und -interessierte anbieten.“ Im Anschluss sollte sich bei heimischen Speisen und Getränken ausgetauscht werden. „So sollten Menschen unterschiedlicher Kulturen Gemeinsamkeiten entdecken und gegenseitige Vorurteile abbauen, Freundschaften schließen und die Ankommenden ein Ziel, eine berufliche Perspektive erhalten.“ Bei Erfolg der Pilot-Serie sollten andere Studiengänge dem Beispiel folgen. „Doch dazu kam es nicht, wir sind an der Politik gescheitert“, beklagt Eittorf.

DAS ZIEL: INTEGRATION DURCH BILDUNG
Heute denken Eittorf und Agirbas an eine Neuauflage derselben Grundidee. „Wir wollen Menschen mit Migrationshintergrund nach Berufswünschen grenz- und religionsübergreifend zusammenbringen“, fasst Prof. Agirbas das planerische Vorhaben zusammen. Damals habe der Fokus auf den akademischen Berufen gelegen, heute wollen die beiden insbesondere die derzeit als zum Teil ‚uncool’ wirkenden Handwerksberufe thematisieren. Kurzum: Es geht um Integration durch Bildung. Ein Tenor, der gleichsam in Berlin angesagt ist. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung will „junge Flüchtlinge rasch auf eine Ausbildung vorbereiten“ und in diesem Zusammenhang Länder und Kommunen finanziell unterstützen.
Frank Eittorf, der vor seinem Studium in den Jahren 1994 bis 1996 eine Maurerausbildung als ‚Ausländer’ in Südfrankreich gemacht hat, weiß, wie wichtig der interkulturelle Austausch auch in Beruf und Ausbildung ist: „In unserem sechsten Spot orientieren wir uns daher am aktuellen Programm ‚Berufsorientierung für Flüchtlinge’ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung – verknüpft mit meinen persönlichen Erfahrungen aus meiner Ausbildungszeit bei den ‚Compagnons du Devoir’ in Marseille.“ Abermals skizzieren die beiden Planer einen Baustein ihrer Vision vom Leben in der Essener Innenstadt. Und sie fragen erneut: Was wäre wenn?!

Das markante Gebäude auf dem Weberplatz, bleibt ein Haus der Begegnung – doch die Begegnung wird handwerklich. „Junge Flüchtlinge erhalten vertiefende Einblicke in diverse Ausbildungsberufe des Handwerks, die Möglichkeit, sich intensiv mit ein bis drei Ausbildungsberufen zu beschäftigen“, skizzieren sie ihr Vorhaben. Drei Berufsfelder werden auf drei Geschossen grenz-, kultur-, sowie religionsübergreifend angeschnitten: Beispielsweise der Beruf des Maurers und/ oder des Stahlbetonbauers im ersten Obergeschoss. Im zweiten Geschoss befinden sich die Zimmermänner und Schreiner, im dritten zum Beispiel Klempner und Metallbauer.

WEBERHAUS DES HANDWERKS
„In jedem Monat könnten die jungen Flüchtlinge ein neues Geschoss betreten und ein neues Berufsfeld kennenlernen. Ideal wäre die Kombination der jeweiligen Klassenverbände mit den Deutschkursen, im ‚neuen’ Haus der Begegnung nebenan. Interesse und Niveau der jungen Auszubildenden wären ähnlich ausgeprägt. Nicht genug, zur besseren Integration bekommt jede Flüchtlingsklasse eine Parallelklasse mit Einheimischen, deutschsprachigen Jugendlichen“, beschreibt Frank Eittorf. Den gemeinsamen Feierabend verbringen die jungen Menschen an der hauseigenen Bar; das Barbecue auf dem Weberplatz, in und mit der Nachbarschaft, vermittelt den Ankommenden ein Gefühl der Zugehörigkeit. „Wenn unterschiedliche Herkünfte, Kulturen und Glaubensrichtungen durch berufsbedingte Gemeinsamkeiten zueinander finden, miteinander und voneinander lernen, können Freundschaften entstehen“, bekräftigt Prof. Agirbas. Das neue Weberhaus – es soll als Basis gemeinsamer Interessen dienen und nicht allein als Möglichkeit einer schnelleren beruflichen Eingliederung. Eittorf: „Es könnte ebenso einen wichtigen Beitrag leisten, Menschen, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind, in unsere Gesellschaft aufzunehmen und zu integrieren.“

Einige Jahre später sind die ehemaligen Lehrlinge stolze Alumni: Sie haben etwas erreicht! Die heutigen Gesellen wohnen mittlerweile in der Nachbarschaft, sie kommen nicht nur zum Feierabendgetränk ins ‚Weberhaus des Handwerks‘. Deutsche wie Nichtdeutsche Ausbilder erklären den neuen ‚Ankommenden’ auf Augenhöhe, was sie selbst Jahre zuvor gelernt haben.
Das Erdgeschoss bleibt öffentlich, für jedermann zugänglich. Großzügige Gemeinschafts- sowie Kommunikationsräume schaffen einen Ort der neuen Begegnung. Zum einen als Pausenraum für die jungen Handwerker, zum anderen um Interessierten entspannte Einblicke in einen zeitgemäßen Handwerksberuf zu ermöglichen und spielerisch sowie selbstverständlich mit jungen Migranten und Einheimischen, insbesondere die vor Ort gelebte Gemeinsamkeit ‚Handwerk’ mitzuerleben. Wir brauchen mehr Lust auf Handwerk, neben Konzepten und Strategien braucht es auch Architektur und Raumgefühl für den angestrebten Imagewandel des Handwerks. Das ‚Weberhaus des Handwerks’ als Treffpunkt für die multikulturelle Jugend der Stadt. Handwerk ist cool, grenz-, kultur- sowie religionsübergreifend.

EIN GUTES BEISPIEL FÜR INTEGRATION
„Gäste sind stets willkommen im Haus des Handwerks am Weberplatz“, so Eittorf. Nach dem Unterricht wird gespielt, gekocht, getrunken, diskutiert und zu gegebenem Anlass gefeiert. Nach jedem abgeschlossenen Kurs wandelt sich das Weberhaus zum öffentlichen Ausstellungsort. Agirbas: „Die Abschlussmodelle der angehenden Lehrlinge werden bewertet und zeigen motivierten Interessierten einen spannenden Weg ins Handwerk.“ Als Beispiel für gelungene Integration und Ausbildung von Geflüchteten ist das ‚Weberhaus des Handwerks‘ in einigen Jahren bundesweit im Gespräch und hat vielerorts bereits zahlreiche Nachahmer gefunden. Die beiden Planer fragen abermals: Was wäre wenn?!   pHes