INFORMER magazine | ZWISCHENSTAND zur ‘Serie’

INFORMER magazine | ZWISCHENSTAND zur ‘Serie’

WAS WÄRE WENN?! DIE BEIDEN PLANER FRANK EITTORF UND ERCAN AGIRBAS HABEN SICH IN DEN VERGANGENEN MONATEN MIT DEM POTENZIAL DER ESSENER INNENSTADT BESCHÄFTIGT. ALLES BEGANN MIT EINER KONZEPTSTUDIE.

In seinem Studium bei Professorin Christa Reicher an der Hochschule Bochum hat sich Frank Eittorf seinerzeit ein Jahr lang ausschließlich mit dem Ruhrgebiet, insbesondere mit der Stadt Essen beschäftigt. „Zunächst galt es die Region, die Stadt, ihre Entwicklung in den klassischen Themen wie Geschichte, Wirtschaft, Kultur, Stadtstruktur sowie Infrastruktur zu untersuchen, die Erkenntnisse zu abstrahieren, graphisch aufzuarbeiten und in einer Dokumentation zusammenzufassen. Eine Erkenntnis: Im Essener Süden ist alles schön: dabei markieren insbesondere die A40 sowie die Gleise der Deutschen Bahn das Nord-Süd-Gefälle der Stadt“, erinnert sich der Architekt und Planer Frank Eittorf an seine damalige Studie.

Die Stadtplanung der letzten Jahrzehnte ignoriere die Grundzüge der ursprünglichen Idee der europäischen Stadt, dass eine gesunde Stadt von innen nach außen wächst und lebt, innen lebendig, nach außen ruhiger wird. Der Kettwiger hat bereits in vielen europäischen Metropolen gelebt und gearbeitet, derzeit unter anderem in Paris, wo er aktuell an der ‚ESA École Spéciale d’Architecture‘ lehrt. „Diese allgemein gültige Erkenntnis habe ich, mit den ortsbezogenen Erkenntnissen, in eine städtebauliche Utopie übersetzt“, so Eittorf. Schon damals habe er seinen Fokus auf die Essener Innenstadt gelegt. Eittorf: „Der Städtebau sollte zum einen vorhandene Qualitäten stärken, beispielsweise die bereits etablierte Identität der Essener Skyline um weitere Hochhäuser ergänzen und zum anderen fehlende Freiraumqualitäten durch neue Grün- und Wasserräume ausgleichen. Das Wichtigste, den Stadtkern durch ergänzende Nutzungen, insbesondere Wohnen nachverdichten.“ Seine Ergebnisse stellte der Architekt, der seine Diplome an der Hochschule Bochum sowie der Kunstakademie Düsseldorf erhalten hatte, im Jahr 2002 im Planungsamt der Stadt Essen vor. „Dabei war der Aufwand für den analytischen Teil bewusst groß, denn das daraus resultierende Dokument sollte und wurde meine Bewerbung für die spannenden Architekturbüros der Welt“, so Eittorf. Außerdem sei ihm schon damals klar gewesen, dass er sich eines Tages ein weiteres Mal ausführlich mit seiner Heimatstadt Essen beschäftigen wolle. In Gedanken fragte er schon damals: WAS WÄRE WENN?!

DIE SERIE UND IHRE ZIELE
Als ‚Einheimische’ und stets ‚Heimkeh- rende’ wollen der Kettwiger und sein 1966 in der Türkei geborener Bürokollege Ercan Agirbas, ein Gelsenkirchener, im hier und jetzt auf die Schwächen, aber insbesondere auf die Potenziale und Chancen der Innenstadt, des Stadtkerns aufmerksam machen. Agirbas: „Die Probleme der Stadt haben sich seit damals nicht geändert. Unsere ortsbezogenen Konzepte bauen auf den damaligen Erkenntnissen und Themen auf. Aus den Utopien sind nun Visionen mit einem gewissen Realitätsanspruch geworden, diese wollen wir in die öffentliche Diskussion bringen, um langfristig und nachhaltig die Lebensqualität der ausgesuchten Spots im gesamten Stadtgefüge zu verbessern.“ Dabei bedienen sich die beiden Planer der vorhandenen heterogenen Stadtstruktur, denn individuelle Orte würden individuelle Lösungen nach sich ziehen. Eittorf: „Die Folge sind differenzierte Stadträume mit differenzierten Wohn- und Lebensqualitäten. Denn die unterschiedlichen Identitäten sind die Basis für den eigenen Kiez, in dem, der Kiosk sowohl die Nichtraucherkneipe als auch Raucherkneipe ihren Platz findet.“ Die beiden Planer wollen an alte Zeiten und Zahlen anknüpfen. Doch dazu fehlen dem Stadtkern aktuell circa 10.000 weitere Bewohner.
„Denn es war, ist und bleibt die Wohnnutzung, die den entscheidenden Unterschied macht. Sie bringt das Leben in die Straßen, auf die Plätze, in die umliegenden Geschäfte, Cafés, Bars, Kneipen und Restaurants – die richtige Mischung macht den Rest“, unterstreicht Frank Eittorf.

Neben den Eigentümern und Pächtern sehen die beiden Planer Eittorf und Agirbas insbesondere Politik und Stadtverwaltung in der Pflicht. „Es gilt Lösungen für die Visionen von und für Bewohner, Eigentümer und Planern zu finden. ‚Schöner Wohnen’ in und mit der Innenstadt, wohnen im neuen Kiez Mitte. Eine gemeinsame Vision muss her – eine Vision die die Ideen von Essenern, Nachbarn, Pächtern, Eigentümern sowie Politik und Stadtverwaltung zusammenführt, die in einem nächsten Schritt, die gemeinsame Vision für eine belebte, lebens- und liebenswerte Innenstadt, in eine angemessene Strategie übersetzt. Wir wollen mit unseren Planungen, die der INFORMER in seiner Serie vorstellt, inspirieren, motivieren und überzeugen, um gemeinsam Lösungen zu finden, die gegebenenfalls zu sinnvollen Änderungen im Baurecht führen“, so Eittorf.

WIE KÖNNTE DIE UMSETZUNG AUSSEHEN?
Bevor sich etwas ändert, da sind sich beide Planer einig, müsste sich zunächst die Politik für eine gemeinsame Vision entschließen. Agirbas: „Es gilt, den Stadtkern mit 10.000 neuen Bewohnern zu beleben und so das innere Wachstum der Stadt zu fördern. Dabei ist Abriss und neu bauen lediglich eine Option. Im ursprünglichen Sinne der Nachhaltigkeit, den die Stadt Essen etwa durch die gewonnenen Titel ‚Europäische Kulturhauptstadt 2010‘ sowie der ‚Grünen Hauptstadt Europas 2017‘ mehrfach unter Beweis gestellt hat, gilt es, insbesondere Möglichkeiten zu prüfen, die mit der bestehenden Gebäudestruktur umgehen.“
In einem ersten Schritt würden die Orte geprüft, die schon jetzt baurechtlich als Orte der Nachverdichtung funktionieren würden. Danach kämen Grundstücke, die mit wenig Aufwand und somit zeitnah als solche umgesetzt werden könnten. „ Je komplizierter die Anpassung des geltenden Baurechts wird, desto mehr Gewicht müssten die anderen Argumente bekommen, Stichwort städtebauliche Prägnanz, gute Infrastruktur, günstige Eigentumsverhältnisse, um nur einige zu benennen“, betont Frank Eittorf. Eine Studie müsse jene Orte finden und markieren; ein neuer ‚Masterplan’ – der die klassischen Elementen des Städtebaus wie Kubatur, Nutzung, Freiraum, Höhen, Abstandsflächen sowie angepasste Stellplatznachweise aufzeigt, wäre die städtebauliche Basis. Durch die verschiedenen Machbar- keiten falle dem Faktor Zeit eine besondere Bedeutung zu; er taktet die Umsetzung. Diese ergibt sich wiederum aus Priorität und Umsetzbarkeit. „Also, worauf warten wir noch?“, ergänzt Ercan Agirbas.

Die INFORMER-Serie hat bereits zahlreiche Reaktionen hervorgerufen: von Bewohnern, Architekten, Planern, seitens der Stadtverwaltung und der Politik. Nun gilt es, den Dialog und die Diskussion zu stärken. Hierzu laden Frank Eittorf, Ercan Agirbas & der INFORMER alle Leserinnen und Leser ein. Was halten Sie von den bisherigen Ideen? Wo sehen Sie aus städteplanerischer Sicht Handlungsbedarf in Essen?
Beteiligen Sie sich bei WAS WÄRE WENN?! pHes
Schreiben Sie uns Ihre Meinung unter: stadtplaner@informer-online.de

MOTIV + MOTIVATION zur Konzept-Serie ESSEN
Auszüge Studienarbeit in + über ESSEN | Hochschule Bochum – Prof. Christa Reicher | Sommer + Winter 2002
ANALYSE – ABSTRAKTION – UTOPIE